Haydn

Haydn
Haydn
 
['haɪdən],
 
 1) Franz Joseph, österreichischer Komponist, * Rohrau (Bezirk Bruck an der Leitha) wahrscheinlich 31. 3. (getauft 1. 4.) 1732, ✝ Wien 31. 5. 1809, Bruder von 2); Sohn eines Wagner- und Hufschmiedemeisters in Hainburg, seit 1740 Chorknabe am Stephansdom in Wien, wurde 1749 wegen Stimmwechsels entlassen und verdiente sich als Klavierbegleiter in den Gesangsstunden von N. Porpora und als Tanzbodengeiger sein Brot. Bei Porpora lernte Haydn Musikförderer kennen, besonders den Baron K. J. von Fürnberg, der auf seinem Landsitz Weinzierl musikalische Unterhaltungen veranstaltete und auf dessen Anregung Haydn wohl um 1755 seine ersten (»Weinzierler«) Streichtrios und sein erstes Streichquartett (B-Dur) schrieb. Auch entstanden die ersten größeren Klavierwerke, Klaviertrios und Serenaden und, schon 1752, sein erstes Bühnenwerk, die (nicht erhaltene) komische Oper »Der krumme Teufel«. 1759 wurde Haydn Kapellmeister des Grafen K. J. F. Morzin in Lukawitz (Böhmen), für den er im gleichen Jahre seine erste Sinfonie (D-Dur) schrieb. 1761 wurde er zweiter, 1766 erster Kapellmeister des Fürstenhauses Esterházy in Eisenstadt. Diese Stelle, die ihn auch zu anderen Dienstleistungen verpflichtete, hatte Haydn sein Leben lang inne. Als die Kapelle 1790 aufgelöst wurde, übersiedelte Haydn nach Wien, wo er eine jährliche Pension von 1 400 Gulden erhielt. Die Jahre in Eisenstadt und Esterháza (nahe dem Neusiedler See), wohin der Fürst 1766 gezogen war, waren überaus fruchtbar. Haydn schrieb nun v. a. Orchesterwerke und italienische Opern zur Repräsentation und Unterhaltung des Hofes. Seit Mitte der 1760er-Jahre begann die Verbreitung von Haydns Werken in Paris und London.
 
Das Jahrzehnt zwischen 1781 und 1791 stand im Zeichen der Freundschaft mit W. A. Mozart, die in beider Werken spürbar ist (Mozart widmete Haydn sechs Quartette). 1785/86 entstanden die sechs »Pariser« Sinfonien (Hoboken-Verzeichnis I: 82-87) im Auftrag der Gesellschaft Le Concert de la Loge Olympique. Ende 1790 wurde Haydn auf Veranlassung des in England wirkenden Geigers und Konzertunternehmers J. P. Salomon nach London berufen, um sechs neue eigene Sinfonien aufzuführen. Die Universität Oxford ehrte ihn 1791 mit dem Doktortitel (Aufführung der »Oxford-Sinfonie«). Der große Erfolg in London 1791/92 wiederholte sich bei einem zweiten Aufenthalt 1794/95 (weitere sechs Sinfonien; sie bilden zusammen mit den ersten die 12 »Londoner«; Hoboken-Verzeichnis I: 93-104). Zwischen beiden Reisen hatte er L. van Beethoven zum Schüler, der ihm drei Klaviersonaten (Opus 2) widmete.
 
1795 rief ihn Fürst Nikolaus II. Esterházy von Galántha zu neuem Aufbau der Kapelle nach Wien. In seiner Spätzeit komponierte Haydn hier 6 Messen, deren Stil er - mit Anregungen von Mozart (»Zauberflöte«) und G. F. Händel - in seine großen Oratorien »Die Schöpfung« und »Die Jahreszeiten« übernahm. Als Übergang zu diesen Vokalwerken ist die Vokalfassung der »Sieben letzten Worte« anzusehen. 1797 schrieb Haydn nach dem Vorbild der englischen Hymne »God save the King« die Melodie zur österreichischen Kaiserhymne »Gott erhalte Franz den Kaiser«, die er im Variationensatz des »Kaiserquartetts« bearbeitete. Sie war bis 1920 und 1929-46 zu verschiedenen Bearbeitungen des Textes die österreichische Nationalhymne und ist seit 1922 zum Text von A. H. Hoffmann von Fallersleben von 1841 auch die Melodie der deutschen Nationalhymne. Wenige Tage nach dem Einrücken der Franzosen in Wien starb Haydn; 1820 fand er seine letzte Ruhestätte in der Bergkirche zu Eisenstadt.
 
Haydn war in beständigem Aufgreifen der zeitgenössischen Musik und in einer bewundernswerten Eigeninitiative, die die Qualität seines kompositorischen Schaffens geradezu planmäßig steigerte, der hauptsächliche Begründer der Musik der Wiener Klassik. Die Musikpflege an den weltlichen Fürstenhöfen Süddeutschlands lag im 18. Jahrhundert abseits und jenseits der Blüte der bürgerlich-protestantischen Musik, zunächst auch der Musik J. S. Bachs und Händels. Die Werke der Gebrauchsmusik, die Divertimenti, Kassationen, Serenaden, auch Sinfonien, Sonaten und Quartette (Quadri), dienten zur Unterhaltung der Gesellschaft bei der Tafel, bei Nachtmusiken und Ähnlichem. Von dieser Musik nahm Haydn seinen Ausgang. Die Zurückgezogenheit der esterházyschen Hofhaltung ermöglichte es ihm, völlig selbstständig seinen Weg zu suchen; hier musste er nach seinem eigenen Ausspruch »originell« werden.
 
Die bedeutendsten Werke schuf Haydn mit Streichquartetten und Sinfonien. Schon die ersten Quartette aus den 1750er-Jahren zeigen eine besondere Satztechnik, motivische Arbeit und die Tendenz, einen musikalischen Gedanken immer wieder neu zu fassen. Der Aufbau der Sätze klärte sich zur Sonatenanlage. In den »Sonnenquartetten« (Opus 20, 1772) bereicherte er seine Schreibweise durch kontrapunktische Satztechniken. Erst in den »Russischen« Quartetten (Opus 33, 1781) jedoch, von denen Haydn schrieb, sie seien »auf eine ganz neue besondre Art« gesetzt, fand die neue musikalisch-geistige Haltung ihren endgültigen Niederschlag. Während der diesen Quartetten vorausgehenden fast zehnjährigen Pause in der Quartettkomposition wandte sich Haydn besonders der Sinfonie zu und gab dieser ihre verbindliche Gestalt.
 
Die dann in Eisenstadt entstandenen Vokalwerke, besonders die mit den beschränkten Möglichkeiten des esterházyschen Theaters rechnenden Opern, sind nicht von derselben Bedeutung wie die Instrumentalkompositionen; erst die Messen der Spätzeit und die Oratorien stehen gleichberechtigt neben der Instrumentalmusik.
 
Werke:
 
Orchesterwerke: 106 Sinfonien (nur die Namen der Tageszeiten-Sinfonien stammen von Haydn), u. a. »Le matin« D-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 6, 1761); »Le midi« C-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 7, 1761); »Le soir« G-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 8, 1761); »Abschiedssinfonie« fis-Moll (Hoboken-Verzeichnis I: 45, 1772); »La chasse« G-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 73, 1781); »La poule« g-Moll (Hoboken-Verzeichnis I: 83, 1785); »La reine« B-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 85, 1786); »L'ours« C-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 82, 1786); »Oxford« G-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 92, 1788); »Sinfonie mit dem Paukenschlag« G-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 94, 1791); »Militär« G-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 100, 1794); »Die Uhr« D-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 101, 1794); »Sinfonie mit dem Paukenwirbel« Es-Dur (Hoboken-Verzeichnis I: 103, 1795); Symphonie concertante (1792); »Instrumentalmusik über die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze« (1785; auch für Streichquartett, 1796 als Oratorium); 59 Divertimenti; 24 Klavierkonzerte; 24 Konzerte für verschiedene Instrumente: 4 für Violine, 5 für Violoncello, 3 für Baryton, je eins für Kontrabass, Flöte und Trompete, 4 für ein und zwei Hörner, 5 für zwei Radleiern.
 
Kammermusik: 68 Streichquartette, u. a. 6 »Sonnenquartette« Opus 20 (Hoboken-Verzeichnis III: 31-36, 1772); 6 »Russische« Quartette Opus 33 (Hoboken-Verzeichnis III: 37-42, 1781; darunter Nummer 3 »Vogelquartett« C-Dur); 6 Quartette Opus 50 (Hoboken-Verzeichnis III: 44-49, 1790; darunter Nummer 6 »Froschquartett« D-Dur); 6 Quartette Opus 64 (Hoboken-Verzeichnis III: 63-68, 1790; darunter Nummer 5 »Lerchenquartett« D-Dur); 3 Quartette Opus 74 (Hoboken-Verzeichnis III: 72-74, 1793; darunter Nummer 3 »Reiterquartett «g-Moll); 6 Quartette Opus 76 (Hoboken-Verzeichnis III: 75-80, 1797; darunter Nummer 2 »Quintenquartett« d-Moll und Nummer 3 »Kaiserquartett« C-Dur).41 Klaviertrios, 21 Streichtrios, 126 Barytontrios, 11 Trios für Bläser und Streicher, 25 Barytonduos, 52 Klaviersonaten sowie 12 weitere Klavierstücke, 32 Stücke für eine mechanische Flötenuhr.
 
Vokalwerke: 24 italienische Opern, u. a. Lo speziale (1768); Le pescatrici (1769); L'infedeltà delusa (1773); L'incontro improvviso (1775); Il mondo della luna (1777); La vera costanza (1777/78); L'isola disabitata (1779); Orlando Paladino (1782); Armida (1783); L'anima del filosofo (1791).Oratorien, u. a. Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (1796); Die Schöpfung (1798); Die Jahreszeiten (1801).14 Messen, u. a. »Paukenmesse« (Missa in tempore belli, C-Dur, 1796); »Heiligmesse« (Missa Sti Bernardi von Offida, B-Dur, 1796); »Nelsonmesse« (Missa in angustiis, d-Moll, 1798); »Theresienmesse« B-Dur (1799); »Schöpfungsmesse« B-Dur (1801); »Harmoniemesse« B-Dur (1802); 2 Tedeums, 1 Stabat Mater (1767), zahlreiche weitere Kirchenwerke. - Lieder, u. a. 48 einstimmige Lieder, 13 drei- bis vierstimmige Gesänge mit Klavier, 57 Kanons, 445 Bearbeitungen irischer, schottischer und walisischer Volkslieder.
 
Ausgaben: Werke. Erste kritische durchgesehene Gesamtausgabe, herausgegeben von E. Mandyczewski und andere, 11 Bände (1907-33), fortgeführt von J. P. Larsen, 4 Bände (1950-51); Werke, herausgegeben von G. Feder und andere, auf zahlreiche Bände berechnet (1958 folgende); A. van Hoboken: J. Haydn. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, 3 Bände (1957-78).
 
Gesammelte Briefe und Aufzeichnungen, herausgegeben von D. Bartha (1965).
 
 
G. A. Griesinger: Biogr. Notizen über J. H. (1811, Nachdr. 1981);
 C. F. Pohl: J. H., 3 Bde. (1875-1927, Nachdr. 1970-82);
 D. Bartha u. L. Somfai: H. als Opernkapellmeister. Die H.-Dokumente der Esterházy-Opernsammlung, 2 Bde. (1960);
 
H.-Studien, Veröff. des J.-H.-Instituts Köln, 5 Bde. (1965-85);
 
J. H. Sein Leben in zeitgenöss. Bildern, hg. v. L. Somfai (1966);
 H. C. Landon: H. Chronicle and works, 5 Bde. (London 1976-80);
 R. Klein: J. H. (1981);
 M. Huss: J. H. Klassiker zw. Barock u. Biedermeier (Eisenstadt 1983);
 
J. H. Chronik seines Lebens in Selbstzeugnissen, hg. v. W. Reich (Zürich 21984);
 K. Geiringer: J. H. Der schöpfer. Werdegang eines Meisters der Klassik (21986);
 
J. H. Ber. über den Internat. J. H.-Kongreß Wien 1982, hg. v. E. Badura-Skoda (1986);
 P. Barbaud: J. H. (a. d. Frz., 71.-73. Tsd. 1994);
 J. Hurwitz: J. H. u. die Freimaurer (1996);
 L. Finscher: J. H. u. seine Zeit (2000).
 
 2) Johann Michael, österreichischer Komponist, getauft Rohrau (Bezirk Bruck an der Leitha) 14. 9. 1737, ✝ Salzburg 10. 8. 1806, Bruder von 1); war seit 1757 bischöflicher Kapellmeister in Großwardein, seit 1763 »Hofmusicus und Concertmeister« in Salzburg, seit 1777 dort Organist an der Dreifaltigkeitskirche und von 1781 an als Nachfolger von W. A. Mozart Hof- und Domorganist. Zu seinen Schülern gehörten C. M. von Weber und A. Diabelli. 1771 entstand das Requiem in c-Moll zum Tod des Erzbischofs Sigismund, eines seiner bekanntesten Werke. In seiner Kirchenmusik, deren liturgische Funktion er nie außer Acht ließ, führte er die durch J. J. Fux geprägte Tradition weiter, u. a. 40 Messen, zwei Requiems, sechs Tedeums, Gradualien, Offertorien, Responsorien. Daneben komponierte er eine Oper »Andromeda e Perseo« (1787), Singspiele, Oratorien, Kantaten, Lieder und Männerchöre. Seine Instrumentalmusik, u. a. über 40 Sinfonien (die Sinfonie in G-Dur, 1783, wurde lange Zeit W. A. Mozart zugeschrieben, mit dessen Familie er freundschaftlich verbunden war), fünf Konzerte, 30 Divertimenti, 12 Streichquartette, Klavier- und Orgelmusik, stand immer im Schatten der Werke seines Bruders.
 
Ausgabe: C. H. Sherman u. a.: J. M. Haydn (1737-1806). A chronological thematic catalogue of his works (1993).
 
 
Manfred H. Schmid: Mozart u. die Salzburger Tradition, 2 Bde. (1976).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Haydn - Mozart - Beethoven: Die Wiener Klassiker
 

Universal-Lexikon. 2012.

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